Inflation - langfristige Entwicklung in den USA

Ausgangspunkt: 5 Dollar für ein Fohlen

Vor Kurzem las ich den Episodenroman The Red Pony des US-amerikanischen Literaturnobelpreisträgers John Steinbeck. In der dritten Episode The Promise wird der 10-jährige Jody Tiflin -die Hauptperson- mit einer Stute zu einer Nachbarsfarm geschickt. Dort soll die Stute gedeckt werden. Um das dann irgendwann zur Welt kommende Fohlen soll sich Jody verantwortungsvoll persönlich kümmern (eine Art Erziehungsmaßnahme des strengen Vaters), es soll sein erstes eigenes Pferd werden. Der Farmer, dem der Deckhengst gehört, bekommt für seinen Dienst 5 US-Dollar. Diesen Betrag soll Jody während des Sommers auf der elterlichen Farm abarbeiten.

5 Dollar - ist das viel? Nach heutigen Vorstellungen kaum, aber die Erzählung spielt vor 80, 90 Jahren, vielleicht ganz zu Beginn des 20. jahrhunderts. Wie viel Geld war das damals, gemessen an heutigen Verhältnissen? Die Frage ist nicht ganz leicht zu beantworten, denn obwohl nahezu täglich in den Wirtschaftsnachrichten über aktuelle Inflationsraten (meist in Bezug auf die Verbraucherpreise) berichtet wird, findet man zu langfristigen Betrachtungen nur wenige Informationen. Allerdings ist die Situation in Bezug auf den Dollar, auf die USA, etwas einfacher als z.B. bei den Währungen in Deutschland, wo mehrfach Währungsreformen stattfanden.

Langjährige Preisentwicklung beim Erdöl

Bei der Suche nach mehr Informationen stieß ich auf eine interessante Informationsquelle. Der Erdölkonzern BP veröffentlicht jährlich BP eine Ausarbeitung mit dem Titel Statistical Review of World Energy. Dieses Material enthält, neben vielen anderen Übersichten zu Produktion und Verbrauch verschiedener Energieträger auch eine Tabelle mit dem Titel Oil: Crude oil prices 1861 - 2017 (das Endjahr variert jeweils. In dieser Tabelle sind für den gesamten Zeitraum die effektiven Erdölpreise (money of the day) und die auf den aktuellen Preisstand hochgerechneten Preise in US dollars per barrel angegeben.

Preisentwicklung beim Erdöl - effektiv

So kann man z.B. die effektiven Rohölpreise mit denen unter Berücksichtigung der Inflation vergleichen. Werfen wir zunächst einen Blick auf die mehr als 100-jährige Entwicklung.

Vom Beginn der Erfassung bis in die 1970er Jahre hinein gab es scheinbar gar keine Bewegung. Erst mit dem Jom-Kippur-Krieg (von Arabern oft Oktoberkrieg, neutral vierter arabisch-israelischer Krieg genannt) sieht man eine deutliche Bewegung, denn die überwiegend arabischen Förderländer begannen, ihre Fördermengenpolitik als politische Waffe einzusetzen. Der Preis stieg von 1973 nur gut 3 $/Barrel auf mehr als 11 $/Barrel. Ein Wahnsinn damals. Die extrem vom Erdölkonsum abhängigen Volkswirtschaften des Westens gerieten in massive Schwierigkeiten. Seit dieser Phase gleicht die Preiskurve der Fieberkurve eines an einer unbekannten Krankheit leidenden: es gibt einerseits massive Steigerungen, andererseits aber auch enorme Preisrückgänge, jeweils in kurzen Zeiträumen. Doch schauen wir uns einmal den gleichen Zeitraum an, nur dieses mal unter Berücksichtigung der Inflation:

Preisentwicklung beim Erdöl - unter Berücksichtigung der Inflation

Diese auf das Preisniveau von 2017 hochgerechnete Zeitreihe verdeutlicht, dass es bereits in der Frühphase der modernen Erdölgewinnung deutliche Preisschwankungen gab. Darüber hinaus wird offensichtlich, dass auch das Preisniveau, dass in den frühen 1980er Jahren und um 2010 erreicht wurde, keineswegs so einmalig war: zwar kostete ein Barrel Erdöl im Jahr 1864 nur 8,06 US$, aber gemessen am heutigen Preisniveau waren das fast 126 US$. Allerdings dürfte der wirtschaftliche Einfluss dieses hohen Preises damals nicht so stark gewesen sein wie heute, denn Erdöl war in jener Zeit vor allem Ausgangsstoff für die Herstellung von Petroleum, das als Leuchtmittel genutzt wurde.

Preissteigerungsraten und Inflation

Ausgehend von den effektiven und inflationsbereinigten Werten für die Erdölpreise der einzelnen Jahre kann man nun die bei dieser vergleichenden Betrachtung zu Grunde gelegten Werte für die Inflationsraten berechnen.

Jährliche Preissteigerung

Erstaunlicherweise sehen wir gleich zu Beginn der Zeitreihe erhebliche Ausschläge mit Preissteigerungsraten von 10% und mehr. Hier wirkte sich der US-amerikanische Bürgerkrieg aus. Vor allem in den Südstaaten herrschte Rohstoffmangel. Offensichtlich führte der Krieg insgesamt zu einer Schwächung der Währung. Darauf folgte eine längere Periode zurück gehender oder stabiler Preise. Relevant wurde die Inflation erst wieder mit dem 1.Weltkrieg. Den Preissteigerungen der Kriegsjahre folge ein Preiseinbruch nach Kriegsende. Auch die Wirtschaftskrise Ende der 1920er/ Anfang der 1930er Jahre schlägt sich in der Inflationsstatistik nieder.

Der 2.Weltkrieg spiegelt sich mit einem ähnlichen Muster wieder wie der 1.: starker Preisanstieg während des Krieges, Rückgang oder Stagnation der Preise danach. Allerdings war der Rückgang weniger stark ausgeprägt als 20 Jahre zuvor. Danach gab es fast nur noch Preiserhöhungen, lediglich im Krisenjahr 2009 gab es einen minimalen Preisrückgang von 0,35%.

Kumulierte Preisentwicklung

Die einzelnen jährlichen Preissteigerungsraten kann man verketten, so dass sich ein kontinuierlicher Preisindex ergibt:

Für einen Warenkorb im Wert von 100 US$ im Jahr 1861 musste man im Jahr 2017 2.717 US$ bezahlen. Mit Hilfe dieser kumulierten Datenreihe können wir nun zum Ausgangsproblem zurückkehren.

Die 5-Dollar-Frage

Aus der Erzählung geht nicht klar hervor, in welchem Jahr die Handlung angesiedelt ist. Die vier Episoden von The Red Poy wurden zwischen 1933 und 1937 veröffentlicht. Ich denke jedoch, dass die Handlung deutlich früher spielt, möglicherweise Anfang der 1920er Jahre. In dieser Zeit finanzierte Steinbeck sein Studium durch Gelegenheitsjobs.

Ich nehme hier einmal das Jahr 1925 an. Dieses Jahr hat in der langfristigen Zeitreihe einen Indexwert von 194, d.h. 194 US$ des Jahres 1925 entsprechen 2.717 US$ des Jahres 2017. Das würde bedeuten, dass 5 US$ der damaligen Zeit heute (2017) etwa 70 US$ wären. Gemessen am Vorkriegspreisniveau, also etwa 1914 wären es sogar 125 US$.